Wie sehr darf man sich auf moderne Smartwatches beim Sport verlassen? Und ersetzen sie womöglich sogar einen Trainer? IMTEST hat beim Sportwissenschaftler und Gesundheitsexperten Professor Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln nachgefragt.
IMTEST: Soll ich mehr auf meine Smartwatch oder mein Körpergefühl hören?
Professor Dr. Ingo Froböse: Man sollte vielmehr auf sein Körpergefühl achten. Die Smartwatches sind eher dazu da, sein Körpergefühl zu eichen. Um Rückmeldung zu bekommen, ob das stimmt, was ich gerade spüre. Ansonsten ist die Komplexität der Körpersignale, auch insbesondere was Tagesform betrifft, was Müdigkeit betrifft, was Erschöpfung betrifft, natürlich immer subjektiv geprägt. Da weiß keine Maschine besser als man selbst. Dementsprechend ist das Körpergefühl viel, viel wichtiger.”
Wie valide sind die Daten, die Smartwatches sammeln?
Sie sind häufig nicht valide. Sie sind wissenschaftlich kaum überprüft und meistens auch sehr ungenau. Denn die Messgenauigkeit, etwa der Schrittzähler, kann bis zu dreißig Prozent Fehlerquote aufweisen – das ist dramatisch. Auch andere Dinge wie Herzfrequenz, Blutsauerstoff und EKG sind sehr fehleranfällig, da sie nicht dem goldenen Standard von Medizingeräten entsprechen. Es ist daher schwierig, mit den Daten umzugehen.
Sind Algorithmen genauso gut wie menschliche Trainer oder vielleicht sogar besser?
Nein. Algorithmen sind mechanische, mathematische Annäherungen, die mit Glättungen und Korrekturen arbeiten. Menschliche Trainer sind immer besser. Denn die arbeiten mit Gefühl, Sensibilität und Intuition. Dazu können echte Trainer viel genauer auf Dinge wie Ausführung und Koordination achten. Sie können auch korrigieren, wo es nötig ist. Wenn etwa der Laufstil schlecht ist oder andere Dinge. Dafür brauche ich einen Trainer.
Wo liegen die systematischen Schwächen von Smartwatches?
Wie gesagt der größte Kritikpunkt: Sie können die Qualität von Bewegungen nicht beurteilen. Obendrein sind sie ungenau und Auswertung der Daten nicht wissenschaftlich fundiert ist und vor allem nicht transparent. Das Messdaten auf einmal zu einem besonderen Wert erklärt werden, nur weil sie neuerdings gemessen werden können. Warum muss man etwa wissen, wie die Blutsauerstofftsättigung ausfällt, wenn er sowieso nichts damit anfangen kann. Und nicht zuletzt: Oft präsentieren Smartwatches einfach nur Daten, ohne diese zu interpretieren. Sprich: Sie geben Informationen an Laien ab, die damit dann nichts anfangen können. Aus diesem Grund bin ich nur ein Freund von Smartwatches für Anfänger für die Motivation und vielleicht für Spitzensportler, die gut mit den Daten umgehen können. Für alle anderen, für normale Sportler, für Breitensportler, für ambitionierte Freizeitsportler sind Smartwatches dagegen aus meiner Sicht absolut unnötig.
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Ist der Pulsverlauf allein ein guter Indikator zur Bestimmung von Anstrengung und Fitness?
Sagen wir so: Es handelt sich um den am einfachsten messbaren Parameter, der auch sehr schön Änderungen des Trainingszustandes anzeigt. Ansonsten reicht für Anstrengung und Fitness die Atmung aus. Denn Anstrengung und vor allem Änderung der Belastung definiert sich sehr schön über die Atmung. Die Herzfrequenz unterliegt dagegen auch anderen Faktoren. Insofern ist die Messung des Pulsverlauf für die akute Situation im Breitensport unnötig. Was dagegen gut ist: Auf lange Sicht zeichnen sich Trends ab, die von der Trainingsleistung abhängen. Unter diesem Aspekt ist die Herzfrequenzmessung nahezu unschlagbar.
Einige Modelle setzen neuerdings auf die HFV zur Bestimmung des körperlichen Zustands. Wie beurteilen Sie diesen Trend?
Finde ich gut, sowohl im Spitzen- als auch begrenzt für den Breitensport. Für alles andere unnötig. Der Wert eignet sich gut, um die Regeneration und insbesondere auch Belastung und Stressoren zu bestimmen. Allergings gehören diese Daten aus meiner Sicht auch nicht in die Hände von Laien. Zudem wissen wir oft nicht, wie es um die Messgenauigkeit und um die Algorithmen dahintersteht. Ist das, was rauskommt, etwa der Fitnesszustand, der mit HFV bestimmt wird, tatsächlich korrekt? Außerdem versteht kaum jemand, dass eine hohe Herzfrequenzvariabilität, also eine unruhige Schlagsituation, ist etwas Gutes. Aber genauso ist es. Solange es der Nutzer nicht versteht, ist dieser Parameter also unnötig.
Was könnten kommende Smartwatches besser machen?
Sie sollten sich beschränken und nicht nach neuen Parametern suchen. Sie sollten noch genauer werden. Sie sollten wissenschaftlich valide sein. Und vor allem Dingen sollten Sie mit Kompetenzen verbunden sein. Sie sollten erklären, was die Daten bedeuten. Und das ist bei einigen Modellen nicht der Fall. Das heißt, die Menschen werden allein gelassen.
Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass wir eine neutrale, objektive und auch anonymisierte Datenauswertung bekommen, die treuhänderisch durchgeführt wird. Ich würde mir für Deutschland also eine treuhänderische Verwaltungseinheit wünschen. Das habe ich vor einigen Jahren den Krankenkassen bereist vorgeschlagen. Dann könnte diese mit den Daten wunderbar arbeiten. Sprich: Es gibt eine Organisation, da kann man dann freiwillig seine Daten hinschicken, die die Daten auswertet, interpretiert und Empfehlungen gibt. In diesem Fall würden diese Daten nicht bei irgendeinem Hersteller in den USA oder Asien wandern und dort von intransparenten Algorithmen zerpflückt werden, sondern ich hätte wirklich etwas davon.
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Haben Sie einige generelle Tipps, wie sich (vor allem im Alter) die Fitness steigern lässt?
Die Schlagworte lauten Koordination und Gleichgewicht. Zudem sind zwei Faktoren interessant, die die Smartwatches mit Ihrem Fokus auf Herz-Kreislauftraining und Ausdauertraining kaum abdecken. Da ist aber nur die halbe Miete. Fitness ergibt sich nicht nur durch die Herzleistungsfähigkeit. Je älter ich werde, umso wichtiger wird Muskulatur, im Volumen und Kraft. Und da hilft keine Smartwatch. Manchmal konterkariert sich sogar Ausdauer- und Krafttraining. Gerade die Muskulatur wird mit zunehmendem Alter immer bedeutsamer, weil ich nur dadurch eben Fitness, Leistung, Selbständigkeit, Mobilität und dadurch Lebensqualität aufrechterhalten kann. Deutschland ist eine Herz-Land, wir sollten aber auch zu einem Muskel-Land werden.