Auf den ersten Blick sind die Abenteuer der „Life is Strange“-Reihe von Hersteller Square Enix verkappte X-Men-Episoden. Denn es geht immer um junge Leute, die ganz besondere Fähigkeiten besitzen. Diese setzen sie ein, um ein Rätsel in ihrer Umgebung zu lösen oder Menschen zu helfen, die ihnen etwas bedeuten. Im ersten Teil „Life is Strange“ war es Max, die die Zeit kontrollieren konnte, in „Life is Strange 2“ besaß der junge Daniel telekinetische Fähigkeiten. „Life is Strange 3: True Colors“ macht den Spieler nun mit Alex Chen bekannt.
Sie ist eine jungen Amerikanerin asiatischer Herkunft, die die Gabe (oder den Fluch) der Empathie beherrscht. Sie kann bei anderen Personen starke Gefühle wahrnehmen und wird von diesen manchmal sogar mitgerissen. Ein besonders emotionales Spiel also? IMTEST macht mit „Life is Strange 3“ den Test.
Produktdetails
- 59,99 Euro
- USK 12
- PS 4, PS 5, Xbox One, Xbox Series X/S
Inhaltsverzeichnis
- So beginnt die Story in Life is Strange 3
- Der Konflikt des Spiels
- Life is Strange 3 im Vergleich zu anderen Adventure-Games
- Viel Tiefe im neuen Spiel
- Emotion pur bei LiS True Colors
- Sequenz sorgt für schwierige Entscheidung
- Optik im Spiele-Test überzeugt
- Entscheidungen der Spieler
- LiS True Colors: Test zeigt ähnliche Enden
- Was im Spiel unrealistisch wirkt
- Weitere Schwächen von „Life is Strange 3“
- FAZIT
So beginnt die Story in Life is Strange 3
In „Life is Strange 3“ geht es um Alex Chen, die nach vielen Jahren in Heimen und speziellen Einrichtungen endlich frei und damit Herrin über ihr eigenes Leben ist. Die junge Frau plant, ihren Bruder Gabe zu besuchen, der im Herzen der Rocky Mountains in Colorado lebt – in einer winzigen Stadt namens Haven Springs. Der Ort lebt vom Bergbau und besteht aus kaum mehr als der Hauptstraße und einigen Häusern in deren Nähe. Obwohl sich Alex und Gabe mehr als acht Jahre nicht gesehen haben, ist ihr Wiedersehen herzlich.
Gabe arbeitet nach seiner Zeit im Jugendknast mittlerweile in einer Bar, über der auch seine Wohnung liegt. Seine Freundin Charlotte führt die Apotheke der Stadt und ist zudem eine vielversprechende Künstlerin, ihr Sohn Ethan kommt mit Gabe ebenfalls prächtig zurecht. Gabes Freunde Ryan und Steph mögen Alex auf Anhieb und auch sein Chef Jed hat nichts gegen eine neue Kellnerin einzuwenden.
Der Konflikt des Spiels
Alles sieht in „Life is Strange 3“ also vielversprechend für die junge Frau aus, bis der eifersüchtige Mac vor Gabes Tür auftaucht und ihn attackiert. Diese Gefühle übermannen Alex und sie verprügelt Mac ordentlich, bevor Gabe sie wieder zur Vernunft bringen kann. Nun muss sie zumindest ihrem Bruder von ihrer Fähigkeit erzählen. Kurze Zeit später meldet sich Charlotte völlig panisch: Ethan ist verschwunden – und in wenigen Stunden wird die Minengesellschaft eine große Sprengung in der Nähe vornehmen! Gabe, Ryan und Alex machen sich auf die Suche nach Ethan. Dabei kommt es zu einer Tragödie, die das Leben aller Beteiligten für immer verändert …
Life is Strange 3 im Vergleich zu anderen Adventure-Games
Auch wenn der Spieler Alex mit den Richtungstasten steuert, so erinnert „Life is Strange: True Colors“ doch stark an klassische Point and Kick-Adventures. Allerdings zeigt die Reihe um die besonderen jungen Leute auch starke Ähnlichkeit zu den interaktiven Film-Spielen des französischen Entwicklers Quantic Dream, die Spiele wie „Heavy Rain“ oder „Beyond: Two Souls“ auf den Markt brachten. Unter der Leitung des Masterminds David Cage ging es in diesen Spielen um sehr emotionale Geschichten wie einen trauernden Vater, dessen Sohn von einem Serienkiller ermordet wurde oder eine junge Frau, in deren Körper zwei Seelen leben.
Da ging es wenig um eigentliches Spielen, denn über weite Teile der Story hatte der Spieler nur geringen Einfluss auf das Geschehen, sondern mehr um das Erzählen einer möglichst guten Geschichte, deren Ausgang der Spieler durch nur scheinbar kleine Entscheidungen mitbestimmen konnte. Auf genau diese Idee stützt sich auch die „Life is Strange“-Reihe seit ihrem Erscheinen. Und erreicht mit „True Colors“ ihren vorläufigen Höhepunkt.
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Viel Tiefe im neuen Spiel
Denn auch wenn das Spiel eine durchaus spannende Geschichte erzählt, liegt der Kern tiefer. Selten ist es einem Spiel derart gut gelungen, große Themen wie Trauer, Verlust und die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit so brillant in eine spielbare Handlung einzubetten und sie auch noch optisch innovativ darzustellen. Das unterscheidet „Life is Strange 3“ deutlich von anderen Adventures, in denen es vordringlich darum geht, Rätsel zu lösen und gefundene Gegenstände richtig einzusetzen. Damit hat LiS True Colors gar nichts am Hut.
Es gibt im ganzen Spiel kaum Momente, an denen der Spieler wirklich hängenbleiben kann und sollte er doch einmal nicht weiterwissen, meldet sich Alex nach wenigen Augenblicken mit einem schlauen Gedanken wie dem Tipp, doch einmal den Plattenladen zu besuchen oder mit einer bestimmten Person zu sprechen. Das lässt sich auch im eigenen Journal nachsehen, das jederzeit mit einem Tastendruck aufgerufen werden kann.
Emotion pur bei LiS True Colors
Was die Emotionen in der Geschichte angeht, ist LiS True Colors hingegen ein absolutes Schwergewicht, dass sowohl inszenatorisch wie dramaturgisch auch problemlos eine TV-Miniserie sein könnte. Denn der Spieler begleitet Alex auf eine fast bespiellose Odyssee durch eigene und fremde Gefühle, die innerhalb der Story eine große Rolle spielen. Und das ist beeindruckend, manchmal fast poetisch umgesetzt – wie beispielsweise bei einem wunderbar magischen Live-Rollenspiel.
Oder wenn Alex auf die trauernde Charlotte trifft und feststellen muss, dass ein ganz anderes Gefühl bei der jungen Mutter die Oberhand hat und die Entscheidungen, wie sie damit umgehen soll, nun bei Alex liegen, zeigt „Life is Strange 3“ seine ganze Qualität.
Sequenz sorgt für schwierige Entscheidung
Denn diese Sequenz in „Life is Strange 3“ ist nicht nur optisch beeindruckend umgesetzt, sondern stellt den Spieler auch vor Entscheidungen, die alles andere als einfach zu treffen sind. Was daran liegt, dass einem die Charaktere des Spiels zu diesem Zeitpunkt längst ans Herz gewachsen sind und man keinen von ihnen leiden sehen möchte. Dennoch stellt das Spiel die Frage, ob wir ohne unseren Schmerz die gleichen Personen wären wie mit ihm. Dass jeder Spieler darauf seine eigene Antwort finden muss, zeigt die Intention und Qualität von „Life is Strange: True Colors“.
Was die Autoren dann im finalen fünften Kapitel an Emotionen über den Spieler ausgießen, sucht im Spielesektor seinesgleichen. In präzise und packend geschriebenen Szenen konfrontieren sie Alex mit all den unerledigten, verdrängten oder ignorierten Momenten ihres noch jungen Lebens. Wen das emotional nicht mitnimmt, der hat vermutlich schon Stunden vorher damit aufgehört, das Spiel zu spielen.
Optik im Spiele-Test überzeugt
Schon nach wenigen Minuten, wenn Alex im mehr als malerischen Haven Springs ankommt, entfaltet „Life is Strange 3“ auch im Test seinen optischen Zauber. Die Sonne über den Rocky Mountains, überall bunte Blumenrabatten und üppig grüne Natur – optisch wird der Spieler hier nicht vorgewarnt, welche zum Teil dunkle Story hier auf ihn wartet. Auch die vielen Details in den Häusern, Läden und Wohnungen, die oftmals lediglich der Atmosphäre dienen und sonst keinen spielerischen Mehrwert bieten, ziehen den Spieler schnell in die Story und lassen den Ort und seine Bewohner schnell lebendig werden.
Optisch ist das Spiel ein absoluter Genuss. Wenn Alex mit einem Freund auf einer Klippe in den Bergen den Sonnenuntergang beobachtet, kippt LiS True Colors allerdings auch schonmal ein wenig in den Kitsch. Bei einer Geschichte, die derart auf Gefühl getrimmt ist, wohl eine Gefahr, die die Macher in Kauf genommen haben. Zum Glück sind solche Momente im Spiel eher selten.
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Entscheidungen der Spieler
Nach jedem der fünf Kapitel blendet das Spiel ein, welche Entscheidungen der Spieler getroffen hat, ob er sich damit bei der Mehrheit oder Minderheit der Spieler weltweit befindet und was er möglicherweise gar nicht getan oder übersehen hat. Damit bietet „Life is Strange 3“ nicht nur einen recht hohen Widerspielwert, einige der Entscheidungen hinterlassen auch im grandiosen Schlussakt des Spiels ihre Spuren.
Es gibt dabei viele Nebenquests, in denen der Spieler für die Handlung nicht relevanten Figuren helfen kann wie einem nervösen Pärchen oder einem trauernden Kunden im Plattenladen. Aber der Umgang mit den Hauptfiguren spiegelt sich im Finale von LiS True Colors wider uns sorgt nochmals für emotionalen Zündstoff, wenn der eine oder andere Charakter Dinge tut, die Alex unterstützen oder verletzen, je nachdem, wie der Spieler vorher mit diesem Charakter umgegangen ist.
LiS True Colors: Test zeigt ähnliche Enden
Die oft kolportierte Ankündigung, das Spiel habe diverse Enden, ist allerdings stark übertrieben. Denn das Finale von „Life is Strange 3“ läuft zwar nicht bei jedem Spieler gleich, aber das Endergebnis weicht nur unwesentlich voneinander ab. Die Auflösung des Plots bleibt stets gleich, das gibt die Dramaturgie der Story vor, lediglich Entscheidungen, die der Spieler danach trifft, haben Einfluss darauf, mit welchen Endsequenzen der Spieler in LiS True Colors verabschiedet wird.
Wer will, kann das fünfte Kapitel erneut spielen, um ein anderes Ende zu sehen, ein Besuch bei Youtube tut es für die ganz Neugierigen aber auch. Zudem besitzt „Life ist Strange: True Colors“ auch sein eigenes Tempo, das der Spieler nur sehr bedingt beeinflussen kann. Das Spiel entschleunigt beim Spielen deutlich – das wird sicher manchen Spieler nerven, gehört aber zum Gesamtkonzept zwingend dazu.
Was im Spiel unrealistisch wirkt
Ein paar kleine Ärgernisse haben die Entwickler allerdings auch in „Life is Strange: True Colors“ eingebaut. So ist die schwammige Steuerung nicht immer hilfreich dabei, von a nach B zu kommen. Auch Alex‘ Unfähigkeit, ein Blumenbeet oder eine flache Baumwurzel zu überqueren, wirkt wenig realistisch. Das gilt auch für die nur scheinbar vorhandenen Nebenstraßen von Haven Springs, die sich dank unsichtbarer Barrieren nicht betreten lassen und den Spieler so oft aus der Illusion einer lebendigen Stadt herausreißen.
Weitere Schwächen von „Life is Strange 3“
Was die Handlung von „Life is Strange 3“ angeht, so ist ausgerechnet der Krimi-Plot, der die Spannung hochhalten soll, durch seine Vorhersehbarkeit der Schwachpunkt eines ansonsten hochklassig geschriebenen Scripts. Denn nicht wenige werden den Schuldigen schon erkannt haben, lange bevor er sich offenbart. Dazu ist die Kameraperspektive in LiS True Colors oft so ungünstig gewählt und die Figur bewegt sich so langsam und unrealistisch, dass trotz der Sicht über die Schulter der Hauptfigur Motion Sickness auftreten kann. Das wäre sicher vermeidbar gewesen.
Wer allerdings den Kern des Spiels, die absichtlich so emotionale Reise mit der jungen Alex, als Schwäche wahrnimmt, ist definitiv im falschen Spiel. Das wäre, als würde man bei einem Shooter kritisieren, dass man schießen muss.
FAZIT
Auch das dritte Spiel der Reihe, für das Square Enix ein neues Entwickler-Studio beauftragte, glänzt mit den gleichen Tugenden wie die Vorgänger und schickt den Spieler mit der neuen Hauptfigur Alex auf eine Reise, die vor allem Gefühle freisetzen soll. Das ganze Spiel ist dafür ausgelegt, ein Lächeln, ein Stirnrunzeln oder feuchte Augen zu erzeugen – und das macht „Life is Strange: True Colors“ wirklich gut.
Optisch ist das Spiel ebenfalls überzeugend und erzeugt die fast perfekte Illusion einer Kleinstadt, die nur von spielerischen Limits gestört wird. Auch wenn die Story nicht ganz frei von Schwächen ist, gehört das Spiel zu den besten interaktiven Filmen/Adventures, die es gibt. Allerdings nicht für jeden: Wer mit Gefühlen im Spiel nichts anfangen kann, sollte um „Life is Strange 3“ lieber einen weiten Bogen machen.
- PRO
- Das hochemotionale Spiel arbeitet auch mit wunderschöner Optik für eine Wohlfühl-Atmosphäre in den Rocky Mountains.
- KONTRA
- Welt ist nicht in jeden Winkel erkundbar, leichte Tonschwankungen
IMTEST Ergebnis:
sehr gut 1,4