Veröffentlicht inRatgeber

Worldcoin: Das steckt hinter der neuen Super-Währung

Für die neue Kryptowährung Worldcoin lassen sich Millionen Menschen ihre Augen scannen. Datenschützer schlagen Alarm.

Grafische Darstellung des Worldcoins auf weißem Grund.
© Worldcoin

Das Szenario klingt wie Science Fiction – und ist doch bereits Realität. Ein silbrig glänzender Ball von der Größe einer Bowlingkugel ist der futuristisch anmutende “Orb”. Weltweit, auch in Deutschland, sind rund 250 davon in speziellen Registrierungszentren im Einsatz. Ein kurzer Blick in die silberne Kugel reicht für einen Iris-Scan. Aus diesem Bild entsteht ein digitaler Ausweis, die World-ID. Warum machen das Millionen von Menschen und was steckt dahinter?

Hinter dem Projekt steht die neue digitale ID-Plattform Worldcoin, die seit dem 24. Juli 2023 am Start ist. Warum eine weitere digitale Währung? Laut Worldcoin wird es aufgrund der Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz immer schwieriger zu erkennen, ob Online-Aktivitäten, geschriebene Texte oder digitale Kunstwerke von echten Menschen oder von KI stammen. Die Idee, dieses Dilemma zu lösen, wäre die Einführung einer Art digitalen Personalausweises, der auf einem sogenannten Persönlichkeitsnachweis basiert. Die Art und Weise, wie dies erreicht werden soll, ist jedoch zumindest fragwürdig.

Worldcoin Orb
Mit dem ominösen Orb erfasst Worldcoin die biometrischen Daten seiner Nutzer. © Worldcoin

Das ist Worldcoin

Bei Worldcoin handelt es sich um eine digitale Identifizierungsplattform, die jedem Menschen auf der Welt eine bequeme Möglichkeit bieten soll, zu verifizieren, dass er ein echter Mensch und kein Bot oder KI-Algorithmus ist. Worldcoin arbeitet wie andere Kryptowährungen dezentralisiert. Das bedeutet, dass die Entscheidungen die Nutzer treffen und nicht eine zentralisierten Institution wie einer Bank.

Die Firma, die Worldcoin entwickelt – Tools for Humanity – wurde von Alex Blania, Max Novendstern und Sam Altmann gegründet. Letzterer erlangte vor allem für die Entwicklung von ChatGPT großen Ruhm. Worldcoin und soll seinen Nutzern eine verifizierte digitale Identität sowie einen Kryptowährungs-Token – Worldcoin (WLD) genannt – und eine Krypto-Wallet-App bieten. Altmann beschreibt das Projekt auf X wie folgt: „Das Ziel ist einfach: ein globales Finanz- und Identitätsnetzwerk, das auf Persönlichkeitsnachweisen basiert. Das ist im Zeitalter der künstlichen Intelligenz besonders wichtig. Ich hoffe, dass Worldcoin zu Diskussionen darüber beitragen kann, wie wir den Zugang, die Vorteile und die Verwaltung zukünftiger KI-Systeme teilen können.”

Grundeinkommen durch KI

Worldcoin unterscheidet sich von anderen populären Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum dadurch, dass es den Menschen einen Token für die Zukunft bieten will, ohne den Zwang im Voraus Geld investieren zu müssen. Das Worldcoin-Projekt will auf diese Weise dazu beitragen, eine globale Wirtschaft für alle zu schaffen, unabhängig von Land und wirtschaftlichem Status. Schließlich hätten weltweit vier Milliarden Menschen keine digital überprüfbare Identität. Dies schränke die Teilhabe an der Weltwirtschaft und den Zugang zu wichtigen Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung oder staatlicher Unterstützung erheblich ein.

Geht es nach Sam Altman, könnte eine solche staatliche Unterstützung sich eines Tages zu einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle entwickeln. „Die KI-Revolution wird genug Wohlstand schaffen, damit jeder bekommt, was er braucht“, so Altmans Vision. Demnach könnte die Wertschöpfung durch Künstliche Intelligenz schon in zehn Jahren so groß sein, dass theoretisch jedem volljährigen Amerikaner eine jährliche Dividende von 13.500 US-Dollar ausgezahlt werden könnte – ohne  jegliche Gegenleistung. Dieses Grundeinkommen könnte dann in Worldcoins fließen, zumindest wenn die Empfänger ihre menschliche Existenz mit der World ID belegen. Einen Vorgeschmack bekommen die Nutzer schon jetzt: Wer sich mit seinen biometrischen Daten für eine ID anmeldet, bekommt als Belohnung Token geschenkt.

Zugang nur mit Augenscan

Jetzt wird es spannend: Um Worldcoin zu erhalten, müssen die Menschen ihre Augen durch ein kugelförmiges Gerät namens Orb scannen. Das Scannen der Iris soll dem System beweisen, dass sich ein echter Mensch und keine KI bei Worldcoin anmelden will. Andernfalls könnte ein KI-System massenhaft falsche Nutzer erstellen und die digitale Währung oder andere Online-Angebote missbrauchen. Ist die Identität des Nutzers bestätigt, erzeugt die Plattform einen persönlichen und sicheren Identifikationscode – die sogenannte World ID. Damit soll sich der Nutzer zum Beispiel in Online-Shops anmelden und ausweisen können. Vor allem aber dient die World ID dazu, auf die neue digitale Währung Worldcoin zuzugreifen. Die Codes werden letztlich auf einer dezentralen Blockchain gespeichert um zu verhindern, dass andere den Code duplizieren oder fälschen können.

Neben 2 Millionen Nutzern in der Beta-Testphase hat Worldcoin nach eigenen Angaben bereits 16 Millionen Nutzer registriert. Derzeit wird das Scannen in Dutzenden von Städten in 20 Ländern weltweit eingeführt, darunter auch Berlin. Das Ziel von Tools for Humanity lautet, die Augen aller acht Milliarden Menschen weltweit zu scannen. Dadurch soll das weltweit größte menschliche Identitäts- und Finanznetzwerk entstehen.

So funktioniert Worldcoin

Laut Altmann soll man sich Worldcoin wie einen Hocker mit drei Beinen vorstellen: Er funktioniert nur, wenn Menschen drei sich gegenseitig verstärkende Komponenten akzeptieren und nutzen. Die da wären:

  • Eine einzigartige digitale Identität, die weltweit genutzt werden kann – die World-ID.
  • Eine globale Währung über Worldcoin-Tokens.
  • Eine App für Zahlungen, Überweisungen und Käufe mit Kryptowährungen oder traditionellen Vermögenswerten.

Das Herzstück der Plattform ist wie erwähnt die World ID, die es den Nutzern laut Unternehmen ermöglichen soll, ihre menschliche Identität online zu verifizieren und gleichzeitig ihre Privatsphäre zu schützen. Denn laut eigenen Angaben ist der Code nicht mit den persönlichen Daten des Benutzers verknüpft, sondern diene ausschließlich dazu, zu verhindern, dass eine Person mehr als eine World ID erhält. Außerdem soll jedes Irisbild dauerhaft gelöscht werden.

Sobald Nutzer eine World ID erstellen und die World App herunterladen, erhalten sie Zugang zum WLD Kryptowährungstoken. Laut dem Worldcoin-Whitepaper sollen innerhalb von 15 Jahren insgesamt 10 Milliarden WLD ausgegeben werden. Auch wichtige Kryptobörsen haben WLD für den Handel zugelassen, darunter KuCoin und Binance, die volumenmäßig größte Börse der Welt. Auf Coinbase, der größten amerikanischen Kryptobörse, die auch in Deutschland aktiv ist, wird WLD dagegen nicht zum Handel angeboten. Der Grund: Die US-Börsenaufsicht SEC ging zuletzt rigoros gegen Kryptoprojekte und Börsen vor, die gegen bestehende Wertpapiergesetze verstoßen könnten. Altman hat sich daher entschieden, den Token nicht in den USA anzubieten.

World-App
Die World-App dient als Wallet als auch als Aufbewahrungsort für die World ID. © Worldcoin

In drei Schritten zum Worldcoin

Um den Worldcoin-Prozess abzuschließen, sind demnach drei Schritte erforderlich:

  • World App downloaden: Mit der App können Nutzer ein Worldcoin-Konto erstellen und eine Krypto-Brieftasche namens WalletConnect nutzen. WalletConnect funktioniert auch mit Social-Media-Anwendungen wie Instagram und X. Die App fungiert dadurch einerseits als Kryptowährungs-Geldbörse für Bitcoin, Ethereum und Stablecoins. Andererseits speichert sie die Benutzerdaten, mit denen sich der Nutzer online  verifizieren können.
  • World ID registrieren: Nutzer können die World App auch ohne World ID nutzen. Sie erhalten aber nur dann kostenlos Worldcoin-Token, wenn sie ihre Iris mit dem Orb scannen.
  • Wordcoin erhalten: Hat der Nutzer seine World-ID in der App registriert, bekommt er  gratis Bitcoin- und Ethereum-Airdrops.

Kritik an Worldcoin

Das Projekt wurde wegen seiner ambitionierten Ziele und fragwürdigen Methoden bereits heftig kritisiert.

  • Nach dem Start äußerte beispielsweise Ethereum-Gründer Vitalik Buterin in einem Blogeintrag seine Bedenken gegenüber Worldcoin. Er argumentierte, dass die Iris-Scans der Plattform mehr Informationen sammeln könnten, als das Unternehmen zugibt. Oder dass jemand die Iris einer anderen Person scannen könnte, um festzustellen, ob diese Person eine World ID besitzt.
  • Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte dem “Spiegel“: “Als lebenslanges Identifizierungsmerkmal sind Retina oder Iris des Auges nicht zielführend, weil sie durch Unfall oder Erkrankung als Authentisierungsmittel unbrauchbar werden können.” Und schließlich könne man sich auch mit dem deutschen Online-Personalausweis eindeutig im Internet identifizieren – ohne die Risiken von Worldcoin.“
  • Auch französische und britische Behörden prüfen das Projekt. Noch weiter ging Kenia: Das afrikanische Land, in dem es wegen des Begrüßungsgeldes einen Ansturm auf die Registrierungsstellen gegeben hatte, stoppte alle Aktivitäten von Worldcoin. Die Behörden müssten sich erst davon überzeugen, dass von dem Projekt keine Gefahr für die Bürger ausgehe, hieß es zur Begründung.
  • Ein Artikel der MIT Technology Review vom April 2022 enthielt Vorwürfe, dass Worldcoin “betrügerische Marketingpraktiken anwende. Demnach sammelt Wordcoin, mehr personenbezogene Daten, als es zugibt.
  • Worldcoin wurde auch dafür kritisiert, dass die Plattform in Entwicklungsländern stark beworben wird. Ein beträchtlicher Teil der neuen Nutzer kommt aus Asien und Afrika, was Bedenken hinsichtlich Ausbeutung aufkommen lässt.


Worldcoin kontert Vorwürfe

 Das Unternehmen veröffentlichte eine 25-seitige Gegendarstellung zu den Vorwürfen, speziell zum Artikel in der MIT Technology Review. “Wir möchten klarstellen, dass Worldcoin kein Datenunternehmen ist und dass unser Geschäftsmodell nicht die Ausbeutung oder den Verkauf von persönlichen Nutzerdaten beinhaltet”, steht darin. “Worldcoin ist nur an der Einzigartigkeit eines Nutzers interessiert – das heißt, dass er sich nicht schon vorher bei Worldcoin angemeldet hat – nicht an seiner Identität.” Bei der Registrierung mit dem “Orb” müssen die Nutzer den Angaben zufolge weder Namen, Adresse noch Telefonnummer angeben. Schließlich solle die World-ID nicht ausweisen, wer die Person ist – sondern nur bestätigen, dass der Nutzer ein echter Mensch ist. Zudem würden die für die Erstellung der World ID notwendigen Daten ausschließlich im Gerät verarbeitet und nach der Erstellung des Ausweises gelöscht. Die in Deutschland entwickelte Technologie zur Identitätsfeststellung entspreche den europäischen Datenschutzregeln.

Fazit

Die Idee klingt interessant. Ob sich Worldcoin behaupten oder ob die neue Kryptowährung den Weg vieler anderer gescheiterter Krypto-Experimente gehen wird, ist derzeit schwer abzuschätzen. Zumindest hat das Projekt mit Sam Altman ein prominentes Aushängeschild des neuen, KI-getriebenen Silicon Valley an Bord.

Nils Matthiesen

Testet als freier Mitarbeiter für IMTEST schwerpunktmäßig IT-Produkte, wie Notebooks und Computerzubehör. Auch Wearables, wie Sportuhren und Ohrhörer gehören in sein Test-Repertoire. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Nils Matthiesen als Technik-Journalist: Anfangs als fester Redakteur beim Computerverlag Data Becker (u.a. PC Praxis), später als selbständiger Journalist für Verlage wie Axel Springer (Computerbild), Spiegel und Handelsblatt. Neben Technik nimmt vor allem Sport viel Raum im Leben des Familienvaters ein. Sie erreichen ihn via E-Mail.