Wenn Ernährung zur Religion wird, wenn die Haltung zum Essen militante Formen annimmt, dann wird es nicht nur albern. Sondern auch in der Tat gefährlich. Wenn es um vegane Ernährung geht, kocht regelmäßig eine gefährliche Suppe aus Spott, Hohn, Beleidigung, Hass und Unmenschlichkeit hoch. Und zwar an allen Fronten. Auf beiden Seiten. Vegane Ernährung ist seit vielen Jahren nicht mehr nur einfach ein Hipster Ding, das vor allen Dingen in Berlin Friedrichshain gelebt wird, vegane Ernährung ist eine Lebenseinstellung, vegane Ernährung ist Zeitgeist und hat auch bei Läufern und Menschen, die sportlich sehr aktiv sind, einen festen Platz gefunden.
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Essen ist Privatsache
Daran ist nichts einzuwenden, mir persönlich ist es völlig egal, wer was isst. Hauptsache es wird gegessen, es wird gesund gegessen, und man hat Spaß daran. Der Spaß hört dann auf, wenn es militant und manipulierend wird. Noch unspaßiger wird es, wenn es anhand der Ernährung darum geht, wer denn nun der bessere Mensch, der bessere Sportler ist. Das ist absurd.
Was wir zu uns nehmen, geht genau nur eine Person etwas an: Uns selbst. Doch immer wieder stellt man fest, dass Menschen andere Menschen von ihrer Einstellung überzeugen wollen, und dafür sind viele Mittel recht. Dafür wird Stimmung in den sozialen Netzwerken gemacht, dafür geht man in die Öffentlichkeit, und dafür werden Aktionen inszeniert, um mehr Aufmerksamkeit zu erhaschen. Der vegane Läufer Scott Jurek hat ganze Bücher darüber geschrieben, dass es besser ist, sich vegan zu ernähren, um bessere Laufleistungen zu erzielen. Als Inspiration ist es sicher ein Genuss, sich dort reinzulesen, und nochmal: Jeder soll gerne seinen Weg zu einer gesunden Ernährung finden. Alles hat jedoch auch seine Grenzen, und noch immer bin ich von einer tragischen Geschichte ergriffen, die mir vor einigen Wochen im Netz über den Weg gelaufen ist. Die Begebenheit zeigt, in was für einer Luxuswelt wir leben, so dass die Ernährung zu einer Art Religion werden kann, bzw. konnte.
Wenn Haltung tödlich wird
Es war am 16. Mai 2016. Die Bergsteigerin Maria Strydom aus Südafrika hat an diesem Tag ihr Leben verloren. Sie bestieg den Mount Everest aus einem besonderen Grund. Kurz vor ihrer Reise zum „höchsten Punkt der Erde“ erklärte sie: „Menschen denken, dass Veganer schwach sind. Wir wollen das Gegenteil zeigen. Veganer können alles. Und noch mehr.“ 100 Höhenmeter vor ihrem Ziel musste Maria Strydom entkräftet umkehren. Im Lager wurde sie mit Medikamenten versorgt, litt jedoch schon an der Höhenkrankheit und verstarb kurze Zeit später, wahrscheinlich an Sauerstoffmangel, im Beisein ihres Mannes, mit dem sie gemeinsam für die vegane Sache den Gipfel erklimmen wollte. Ihr Tod war schlicht unnötig. Niemandem war und ist damit geholfen. Und nein! Wenn Fans dieser Ernährungskultur nun auf die Idee kommen: „Ihre Geschichte hatte es doch damals in die Medien geschafft, ist doch gut für vegan“, der geht in der Tat über Leichen.
Erschreckend ist, dass Maria Strydom damals weder sich selbst noch einer offenen Ernährungsdebatte einen Gefallen getan hat. Denn sie hat die Vegan-Hasser-Geister gerufen. All die, die nicht besser sind als militante Veganer selbst. Diese schmierten ihre Hasskommentare unter den Trauerpost ihrer Mutter. Stimmen wurden laut wie „Anscheinend hat sie, nachdem sie bewusstlos wurde und im Krankenhaus aufwachte, zwei Stunden nach dem Fahrer des Krankenwagens gesucht, um ihm noch zu sagen, dass sie Veganerin ist.“ Und das obwohl Maria nicht deshalb gestorben ist, weil sie Veganerin ist. Hohn, Spott und Hass zum Thema Maria Strydom machten sich im Netz breit. So wie es so oft ist, gerade wenn es um vegane Sporternährung geht. Schon lange ist das auch unter Läufern so. Und es macht mich einfach unfassbar traurig. Warum laufen wir nicht einfach leise? Für uns selbst. Warum betreiben wir nicht einfach Sport. Für uns selbst. Warum ernähren wir uns nicht einfach so wie wir wollen? Warum dürfen wir nicht einfach still und leise sein wie wir wollen. Jeder für sich. Maria Strydom postete noch kurz vor ihrem Tod auf ihrer Seite: „Ich bin anders, ich war immer anders. Ich habe akzeptiert, dass ich trotzdem zauberhaft bin. Nicht für jeden zu verstehen, deshalb fragen sie. Das ist okay. Ich werde meinen Weg weitergehen, und zauberhaft und all das bleiben“. Lassen Sie uns alle zauberhaft und all das sein. Aber lassen sie uns tolerant bleiben.