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New World im Test: Keine Klassen, keine Klasse

Ob sich ein Ausflug in Amazons erstes eigenes Massive Multiplayer-Spiel “New World” lohnt, verrät der Test.

Das Bild zeigt das Titelbild des Computerspiels New World
© Amazon

Eigentlich ist die Zeit der MMO-RPGs, wie die Massive-Multiplayer-Rollenspiele abgekürzt heißen, schon seit Jahren vorbei. Bei Platzhirschen wie “World of Warcraft” ist die Spielerzahl seit Jahren rückläufig, neue Ansätze wie “Albion” kommen über ein Nischendasein nicht hinaus. Dennoch hat Amazon im eigenen Studio lange Jahre an einem eigenen MMO “New World” gebastelt, das nun endlich fertig und gestartet ist. Was bietet es?

Die New World

Zu Beginn nimmt der Spieler ein Angebot wahr, auf einem Schiff gen Westen zu segeln, und wenig später landet er dann auf Aeternum, einer großen Insel, die zum Spielgebiet wird. Unterteilt ist Aeternum in mehrere Startregionen und weitere Areale, in denen sich nur höherstufige Charaktere blicken lassen sollten.

Das Bild zeigt die Karte von New World.
Die Karte der Insel Aeternum, auf der die Spieler ihre Abenteuer und Kämpfe erleben. Credit: IMTEST

In allen Gebieten befinden sich Dörfer, Forts und Türme, die von Spielern erobert werden können. Dazu suchen die sich eine von drei Fraktionen aus und darin dann eine Kompanie, das New-World-Pendant zu einer Gilde. Damit lassen sich dann im so genannten PvP (Player vs Player) diese Bauten erobern, oftmals im Krieg gegen eine andere Fraktion, die im Besitz dieses Ortes ist.

Das Bild zeigt eine Siedlung im Spiel
In den Siedlungen pulsiert das Leben – wenn der Server halbwegs voll ist. Credit: IMTEST

Eine Story bietet “New World” auch, wenn auch keine spannende. Der Spieler soll herausfinden, was es mit der Verderbnis auf Aeternum auf sich hat, die dafür sorgt, dass die Einwohner dort nicht lange tot bleiben, böse Kreaturen aber ebenfalls die Gegend unsicher machen. In den ersten Spielstunden tritt diese Erzählung aber kaum einmal in Erscheinung – und spannend ist sie auch nicht.



Charaktererstellung in New World

Das Geschlecht seines Helden wählt der Spieler über die Statur aus, es gibt eine männliche und eine weibliche Form. Danach stehen Entscheidungen über Gesicht, Haarfarbe, Frisur, Augenfarbe und ähnliches an. Allerdings gibt es überall nur eine Auswahl an vorgefertigten Möglichkeiten, selbst etwas zu entwerfen, das ist im Moment nicht vorgesehen. Das ist für ein modernes MMO eigentlich deutlich zu wenig, um sich den eigenen Charakter nach individuellen Wünschen zu formen.

Das Bild zeigt einen Charkater.
Die Auswahl zur Erschaffung des eigenen Charakters ist leider nicht sehr üppig. Credit: IMTEST

Die Spielfigur

In “New World” gibt es kein Klassensystem. Krieger, Magier oder Jäger gibt es zwar trotzdem, aber sie heißen nicht so. Denn in diesem Spiel richtet sich das Können nach dem Tun. Wer mit einer bestimmten Waffe kämpft, sammelt darin Erfahrung, die dann für bestimmte Fähigkeiten ausgegeben werden kann.

Das Bild zeigt die Fähigkeiten-Übersicht der Spielfigur.
Nach einigen Stunden Spielzeit kann der Charakter schon einige gute Werte bei den Talenten vorweisen, doch der Weg zur Top-Ausrüstung ist noch lang. Credit: IMTEST

Jeder Waffentyp hat dabei zwei Talentbäume, aus denen gewählt werden kann. Schwert und Schild lässt sich beispielsweise offensiv oder defensiv skillen, wer will, kann auch mischen. Zum defensiven Kämpfer passt dann Stärke und Geschick. Die gibt es hauptsächlich bei schwerer Rüstung, weswegen sich ein solcher Charakter eher in Metall als in Stoff kleidet. Und so erhält der Spieler nach einigen Stunden Spielzeit einen Krieger, der als Tank fungieren kann, aber eben nicht diesen Namen trägt.



Weiterentwicklung von Skills

Wer mit Stäben, Musketen oder Speeren kämpft, erhält andere Fähigkeiten für den Kampf. Und weil ein Charakter immer zwei Waffen ausrüsten und zwischen beiden schnell hin- und herschalten kann, hat er insgesamt sechs Talente zur Wahl. Dazu kommen noch Fähigkeiten, wie eine höhere Chance auf kritische Treffer oder andere Verbesserungen, die passiv funktionieren, also immer aktiv sind und nicht extra genutzt werden müssen.

Ein Charakter mit Höchststufe 60 kann also theoretisch alle Waffen beherrschen. Allerdings darf der Spieler nach jeder Stufe auch die Attribute wie Stärke, Geschick oder Intelligenz erhöhen. Und diese Attribute haben unterschiedliche Auswirkungen auf den Umgang mit Waffen.

Ein Kampf zwischen einem Zauberer und einem Monster
Wer statt Schwert oder Bogen lieber mit dem Stab kämpft, entwickelt sich zum Magier – auch wenn es Klassen offiziell nicht gibt. © IMTEST

Während der zweihändige Kriegshammer mit Stärke skaliert, ist für den Lebensstab die Konzentration wichtig. Und alle Attribute lassen sich nicht auf Maximum bringen. So muss sich der Spieler letztlich doch für eine Art des Kämpfens entscheiden und sich dafür optimieren. Denn die Attribute lassen sich bis Stufe 20 zwar kostenlos zurücksetzen und ermöglichen so das Ausprobieren verschiedener Kampfstile, danach wird es aber teuer – und daher für die meisten Spieler nicht sinnvoll.

Der Look in New World

Bei “New World” finden Spieler sowohl frische als auch gut abgehangene Teile. So ist die Idee, das Spiel als eine Art “Pirates of the Caribbean” anzulegen, durchaus nett anzusehen und gibt dem Spiel auch den Touch von etwas Neuem. Allzu oft wurde dieses Setting, vor allem im MMO-Bereich, einfach noch nicht genutzt. Und so ist für Freunde der hohen Stiefel, des galanten Federhuts und der gut geführten, schmalen Klinge hier optisch einiges zu holen. Auch wenn der Piraten-Look spielerisch keinerlei Effekt hat.

Der Rest der Grafik ist meist gut. Die Natur der Insel wirkt lebendig, Pflanzen und Tiere sind auf einem guten optischen Niveau und auch die Siedlungen sind voller Leben und bieten durch die zahlreichen Spieler, die sich dort tummeln, das Gefühl eines echten MMOs – mit vielen anderen, echten Menschen zu spielen. Auch die monströsen Gegner, auf die der Spieler trifft, sind nett anzuschauen und bewegen sich realistisch.

Es ist eine Spielszene mit einem schönen Baum und strahlendem Licht zu sehen.
Immer wieder zaubern die Macher bildschöne Landschaften nach Aeternum. Der größte Teil der Insel ist aber von sattem Grün bewachsen. Credit: IMTEST

Dennoch merkt man dem Projekt ein wenig an, dass es seit mehr als fünf Jahren in der Entwicklung ist und die Optik des Spiels bereits vor einigen Jahren als Status Quo festgelegt wurde, denn so richtig neu und überzeugend wirkt die “New World” nicht. Ein echtes Highlight auf dem MMO-Sektor sieht anders aus. Dennoch bringt das Spiel Computer, die nicht die allerneuesten Grafikkarten im Inneren tragen, ganz schön ins Brummen. Hier macht der Lüfter Überstunden.



Der Einstieg in New World

Auch wenn sich die Entwickler hier Mühe geben, selbst Neulingen den Start in die “New World” so angenehm wie möglich zu machen: Durch gelegentliche Texteinblendungen decken die Macher längst nicht alle Informationen ab, die ein neuer Spieler eigentlich braucht, um richtig gut ins Spiel zu starten.

So wird zwar die grundsätzliche Steuerung erklärt, nicht aber, dass ein Charakter nicht immer mit einer Rolle zur Seite ausweichen kann – und wann genau das der Fall ist. Auch über das Handwerk erfährt der Spieler nur wenig, muss sich vieles selbst erschließen, was immer wieder für Neulinge auch zu frustrierenden Situationen führt, nicht das richtige Werkzeug zu besitzen oder den Weg zu einem entfernten Rohstoffvorkommen umsonst gemacht zu haben, weil die Fähigkeiten-Stufe zum Abbau noch längst nicht ausreicht.

Das Bild zeigt den Spieleinstieg mit einem verletzten Kapitän.
Los geht das Abenteuer: Der sterbende Captain erteilt dem Helden einen Auftrag. Credit: IMTEST

Grundsätzlich ist es gut, Spieler nicht mit Infos zu überschütten und sich zurückzuhalten, um vor allem unerfahrene Helden nicht zu überlasten. Aber ein durchaus komplexes System aus ineinandergreifenden Fähigkeiten muss auch entsprechend gut erklärt werden, um nicht zur Überforderung von Spielern zu führen. Hier bietet “New World” definitiv etwas zu wenig Unterstützung für neue Helden.

Der Kampf

Rumstehen war gestern, in “New World” sind die Kämpfe deutlich dynamischer als in Genre-Riesen wie “World of Warcraft”. Wer Erfahrung mit “Guild Wars” besitzt, dürfte auch bei “New World” einen Vorteil haben, denn hier wie dort geht es um Blocken und Ausweichen, um die Kämpfe, vor allem gegen mehrere Gegner, siegreich zu gestalten.

Das Bild zeigt den Sturm auf eine Burg.
Der Kern des Spiels: Mit anderen Spielern der eigenen Fraktion gegnerische Bollwerke attackieren und erobern. Credit: IMTEST

Während das im PvE (Player vs. Environment, deutsch: Spieler gegen die computergesteuerte Umgebung) noch halbwegs einfach gelingt, sind Kämpfe gegen Spieler eine ganz andere Hausnummer und funktionieren auch nach anderen Schwerpunkten. Harte Angriffe, denen der Gegner ausweichen kann, bringen wenig; schnelle Treffer, die kaum zu verteidigen sind, haben mehr Effekt. Wer hier unerfahren ist, muss sich auf eine längere Lehrzeit einstellen, bis er mit den Cracks mithalten kann.

Das Bild zeigt den Kampf mit einem Skelett.
Nach den ersten Stufen zieht der Schwierigkeitsgrad an. Dann sind die Gegner meist in der Überzahl. Credit: IMTEST

Es gibt zwar auch einige Dungeons für fünf Spieler, die dort PvE spielen können, aber das ist bei “New World” eher ein Feigenblatt, das Hautaugenmerk des Spiels liegt eindeutig auf PvP. Und da gibt es für Neulinge erst mal ordentlich auf die Nuss. Und ohne eine starke Kompanie wird das auch kaum besser.



Das Handwerk

Ausrüstung wie Waffen, Rüstungen, Nahrung und vieles mehr bekommt der Spieler in “New World” auf zwei Arten: Als Beute von besiegten Monstern oder deren bewachten Truhen – oder aus eigener Fertigung. Daher können alle Charaktere auf Aeternum alle Berufe lernen. Und sich so selber Rüstungen schmieden oder schneidern, Waffen anfertigen und sich mit Tränken und spezieller Nahrung auf den Kampf vorbereiten.

Allerdings dauert das ebenso lange wie die meisten anderen Erfolge in “New World” auch. Zwar lassen sich nach ein bis zwei Stunden Spielzeit durchaus magische Gegenstände herstellen, für die richtig guten Waffen und Rüstungen allerdings braucht es hohe Stufen in der entsprechenden Fähigkeit. Beispiel Holzhacken: Auch nach 100 umgehauenen jungen Bäumen ist der Charakter noch immer weit davon entfernt, die nächstgrößeren Bäume anzugehen, die ab Holzfäller-Stufe 50 machbar sind.

Das Bild zeigt das Häuten eines Wildschweins.
Die erste Beute: Das getötete Wildschwein liefert neben Fleisch für Nahrung auch Leder für Rüstungen. Credit: IMTEST

Zudem finden Spieler nicht alles, was sie suchen, immer in direkter Umgebung der Startzonen. So wachsen Pflanzen, aus denen Fasern für Stoffe gewonnen werden, nicht unbedingt auf dem nächsten Acker. Noch schwieriger kann es bei Metall werden, das für die meisten Rüstungen und Waffen gebraucht wird. Hier müssen Spieler meist nach Minen Ausschau halten, die auf der Karte verteilt sind, um Erfolg zu haben.



Das Questen in New World

Um einen Charakter Erfahrung im Umgang mit Waffen zu lehren und höhere Stufen zu erreichen, ist ein Spieler darauf angewiesen, Aufträge anzunehmen, die mit Ausrüstung, Gold und Erfahrungspunkten belohnt werden. Leider hat “New World” den Rekord aufgestellt, die wohl eintönigsten und langweiligsten Quests der MMO-Geschichte anzubieten. Hier wird nicht einmal versucht, halbwegs spannende Storys aufzubauen.

Alle Quests fordern entweder das Töten einer bestimmten Menge Gegner in einem benannten Gebiet, das Auffinden besonderer Gegenstände in Truhen und Kisten in einem bestimmten Gebiet und ab und zu das Töten eines schweren Gegners in einem bestimmten Gebiet.

Das Bild zeigt einen Kampf mehrerer Charaktere.
Zwar gibt es einige Verliese für mehrere Spieler, die dort gegen computergesteuerte Gegner kämpfen, doch das Spiel hat einen PvP-Schwerpunkt. Credit: IMTEST

Mehr Abwechslung bieten nur noch die Quests, die der Spieler in jeder Siedlung annehmen kann, um dort Ruf zu sammeln. Hier geht es meist um das Töten von Wild, das Erkunden einer Region oder die Abgabe einer bestimmten Menge Rohstoffe. Auch hier hält sich die Spannung und der Unterhaltungswert in engen Grenzen. Man muss es so klar sagen: Es gibt kaum ein MMO-RPG, in dem das Questen und Aufleveln des eigenen Helden so langweilig ist wie in “New World” – ein klarer Minuspunkt.



Die Server

Eine Woche nach Erscheinen des Spiels scheinen sich die ärgsten Probleme langsam zu erledigen. Wer früh dabei war und auf dementsprechenden Servern gelandet ist, hat zwar immer noch Schwierigkeiten, sich zügig einzuloggen und muss eventuell Stunden auf der Warteliste verbringen. Wer aber jetzt erst mit seiner Reise in die “New World” beginnt und sich Server aussucht, die bei Bevölkerung auf “mittel” oder darunter stehen, kann relativ problemlos ins Spiel gelangen und mit seinem Charakter auf Abenteuer gehen.

Das Bild zeigt den Warte-Screen des Spiels.
Leider ein Standardbild der ersten Tage: Stundenlange Wartezeiten, bis ein Platz im Spiel frei wird. Credit: IMTEST

Ärgerlich bleibt hingegen, dass “New World” inaktive Spieler nach wenigen Minuten aus dem Spiel kickt. Wer also vielleicht eine Pause für Essen, ein Telefonat oder einen kurzen Spaziergang mit dem Hund braucht, findet sich bei der Rückkehr zum PC außerhalb seines Servers wieder und landet, wenn er Pech hat, auf der Warteliste. Hier müsste Amazon dringend nachbessern, will das Unternehmen Spieler nicht nachhaltig verprellen. Denn gerade ein MMO, dass zumindest im Endgame so stark auf das gemeinsame Spielen ausgerichtet ist wie “New World”, sollte Spieler für manchmal unumgängliche Pausen nicht so hart bestrafen.

Fazit

Obwohl “New World” in seiner ersten Woche einen fulminanten Start mit hunderttausenden von Spielern hingelegt hat, ist das MMO-RPG der Amazon Studios nicht der ganz große Wurf. Dazu bietet das Spiel in einigen Dingen schlicht zu wenig. Weder ist eine halbwegs interessante Story vorhanden, noch lastet das neue MMO die Fans von PvE auch nur halbwegs aus. Lediglich für echte PvP-Fans könnte das optisch ordentliche Spiel ein Grund zur Freude sein. In Schlachten mit bis zu 100 Spielern fliegen garantiert die Fetzen. Dafür müsste Amazon dann aber noch die Server-Probleme in den Griff kriegen und für schnelles Einloggen sorgen.

  • PRO
    • Grafik- und Soundqualität
    • Steuerung
  • KONTRA
    • Einzelspielermodus mit langweiligen Quests und wenig Story
    • lange Wartezeiten beim Einloggen
    • beim Spieleinstieg wird nur das Nötigste erklärt

IMTEST Ergebnis:

befriedigend 2,6

Markus Fiedler

Markus Fiedler ist freier Journalist und Autor, sein Herz schlägt vor allem für den Bereich Entertainment. Er verbringt seit vielen Jahren einen großen Teil seiner Zeit im Kino oder vor dem Fernseher – und hat damit sein Hobby zum Beruf gemacht. Nach einem abgeschlossenen Volontariat in seiner Heimatstadt Göttingen war Fiedler Gründungsmitglied des Spielemagazins Computerbild Spiele im Jahr 1999 und arbeitete dort 13 Jahre lang als Testredakteur. Seitdem ist er freiberuflich für verschiedene Kunden tätig. Für IMTEST testet er vor allem Technik und Software, mit der man seine Freizeit verbringt: Netflix und Spotify zum Beispiel, aber auch neue Spielekonsolen wie Playstation 5 und Xbox Series X.