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Wie mir ein Fahrradunfall half, noch achtsamer mit mir zu sein

Unserem Kolumnisten ist leider das passiert, was immer öfter auf unseren Straßen geschieht: Er verunglückte mit dem Fahrrad.

Person auf einem Rad wird von einem Auto angefahren.
© prostooleh / Freepik

Laut statistischem Bundesamt sinken die normalen Unfälle mit Radfahrern etwas, dafür verachtfachen sich die mit E-Bikes. Wie das mit Statistiken so ist: Man liest sie, man hört sie, man nimmt sie zur Kenntnis, man vergisst sie. Wenn man plötzlich selbst betroffen ist, fallen einem unter anderem diese Zahlen wieder ein. Und auch die Schicksale von Bekannten und Freunden. Vor einem Jahr wurde ich im wahrsten Sinn des Wortes auf den Boden der Tatsachen geholt. Auf dem Rückweg vom Training fuhr ich mit dem Rad nach Hause. Um diese Uhrzeit ist in Hamburg recht viel los, ich nahm eine Seitenstraße. Auch diese war unfassbar voll, so konnten alle Verkehrsteilnehmer nur sehr langsam fahren. Und genau das war mein Glück. Wäre ich schneller gewesen, wäre meine Landung auf der Heckscheibe des Autos vor mir, komplett anders ausgegangen.



Wenn Engel helfen

Es gab nichts, was ich mir vorwerfen konnte. Der Abstand stimmte, die Geschwindigkeit war gering, der Wagen vor mir legte eine Vollbremsung hin. Mein Pech. Ich hatte keine Chance. Alle Mühen waren vergebens. Ich prallte auf das Fahrzeug. Bereits in diesem Moment wusste ich: Dieser Moment würde etwas mit mir machen. Natürlich war es auf der einen Seite die körperliche Verletzung. Ein Nasenbeinbruch tut weh,  ist jedoch kein Beinbruch, die Nackenbeschwerden sind machbar, die wohl heile Halswirbelsäule ein riesen Glück. Die Ärzte der Notaufnahme in der Klinik in Hamburg Altona waren echte Engel. Aber plötzlich kroch ein sehr harter Gedanke in mir hoch: So schnell kann es also gehen. Und Du kannst nichts dagegen tun. Nichts. Es kann so schnell vorbei sein. Und zwar komplett. „Sie dürfen froh sein, dass Sie körperlich so unglaublich fit sind. Sonst wäre das hier anders ausgegangen, Herr Kleiß“, sagte ein Arzt in der Nachbehandlung. „So schnell wie sie regenerieren, das sehe ich nicht oft. Machen Sie weiter. Bewegen Sie sich möglichst schnell wieder. Vorsichtig.“ Ich habe seinen Rat demutsvoll angenommen. Die körperliche Sache ist nur die halbe Miete.  

Ein Fahrradfahrer fährt eine Abfahrt hinunter.
Eine Abfahrt mit dem Rad kann schnell gefährlich werden. © Unsplash.com / Paul Green

Was ist wirklich wichtig?

Man wird mit merkwürdigen Reaktionen konfrontiert. Mit Reaktionen, die irritieren. Während ich noch in der Notaufnahme auf den nächsten Arzt wartete, hinterließ mir der Autofahrer eine Message auf meiner Mailbox. Er verlangte dringend die Versicherungsnummer meiner Haftpflicht. Natürlich. Wir sind in Deutschland. Da ist das Auto wichtiger als alles andere. Ist doch klar! Andere zeigten sich verwundert darüber, dass ich bereits nach 10 Tagen wieder gehen konnte. Bringen wir es auf den Punkt: Die Verwunderung mutete eher wie Ungläubigkeit an. Wenn man einen solchen Unfall hatte wird wohl erwartet, dass man sich davon frühestens nach einem Jahr und unzähligen Operationen erholt.

An dieser Stelle fragte ich mich: Was zur Hölle ist denn eigentlich mit den Menschen los? Und genau deshalb gilt mein Dank meinem engen persönlichen Umfeld. Menschen, die sich meldeten. Die sich mit mir freuten, als ich vor ein paar Tagen das erste Mal wieder durch den Regen lief. Nein, ging! Es war ein heftiges Gewitter. Und an diesem Morgen hörte ich wieder die Stimme des Arztes. Ich dachte an seinen Rat, mich möglichst bald wieder zu bewegen. Es war früh, es war kalt, ich zog meine Laufsachen an. Einfach um das Gefühl zu haben, langsam wieder zu beginnen. Innerhalb von Minuten war ich bis auf die Knochen nass. Und es war bitter kalt. Aber ich roch den Wald, ich hörte den Regen, ich brachte die kleine Schnecke auf dem Waldweg sicher auf die Wiese und dachte: „Egal welches Unwetter über dir tobt. Sei achtsam. Mit dir. Mit deiner Umwelt. Wir übersehen so oft die kleinen Dinge. Die, die auf der Straße liegen. Und die, die wirklich wichtig sind. Es macht keinen Sinn, immer weiter zu rennen. Ohne Rücksicht.“   

Die Versuchung einfach loszurennen war groß, an diesem Morgen. Gar keine Frage. Und vielleicht wäre auch alles gutgegangen. Vielleicht aber auch nicht. Wir leben in einer Welt, in der man schnell und viel performen muss. Zu jeder Zeit, egal was passiert. Oder was passiert ist. Krank, wie ich finde. Auch ich bin nicht frei von dieser Denke. Aber ich versuche mich immer freier davon zu machen. Deshalb ging ich einfach weiter durch den Regen. Um langsam und achtsam wieder gesund zu werden. 


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Porträt des IMTEST-Lauf-Experten Mike Kleiß

Mike Kleiß ist leidenschaftlicher Läufer, besonders Ultra-Marathons haben es ihm angetan. Er ist Experte für Fitness, Gesundheit, Ernährung und Mental Health. Täglich ist er mit seinen Hunden in der Natur, er ist Gründer und CEO der Kommunikationsagentur GOODWILLRUN, und erfolgreicher Podcaster. Zusammen mit IMTEST-Chefredakteur Axel Telzerow ist er Host des beliebten Podcasts „Echte Vaddis“, bei IMTEST.de schreibt er jede Woche seine Kolumne „Gesünder Leben – endlich richtig fit!“