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Läufer sollten nur die Hälfte zahlen

Eine große Versicherung hat damit geworben, Sportlern 1% des Krankenversicherungsbeitrages zu erstatten. Lächerlich wenig, findet unser Kolumnist.

Person unterschreibt auf Papier.
© mindandi / Freepik

Die Idee ist nicht neu. Die Idee ist so einfach. Krankenversicherungen saugen Daten über ihre Kunden ab, die diese auch noch ganz freiwillig hergeben. Der „Lohn“ dafür ist eine Vergünstigung des Versicherungstarifs. Damit das alles nicht so plump auffällt, besteht die Versicherung auf einen Nachweis, dass sich der Kunde ausreichend bewegt. Das Rechenbeispiel der Versicherung, die immer wieder in den Medien damit werben ist gnadenlos. Die Marketing-Abteilungen werden stets erfinderischer, aber: Hilft das der Gesellschaft wirklich?



Wie viele Schritte dürfen es denn sein?

Läufer, die regelmäßig ihrem Sport nachgehen, müssen jetzt sehr stark sein, denn das Angebot lautet: Wer per Schrittzähler mindestens 7000 Schritte pro Tag nachweisen kann, bekommt drei Punkte. Neun Punkte muss man erreichen, dann gibt es einen Gutschein für einen Cafe Latte bei einer Großen Kaffee-Kette. Wow! Ist das nicht super? Es kommt noch viel besser. Sammelt man regelmäßig Punkte, erreicht man die nächst höhere Kategorie und kann von Bronze- zu Silber- zu Gold bis zum Platinkunden aufsteigen. Besonders aktive Kunden können ihre Prämien so bis zu 1% pro Jahr verringern. Natürlich soll man auch nachweisen, dass man im Fitness Studio aktiv ist, dass man sich gesund ernährt, dass man einen aktiven Lebensstil führt. Natürlich. Für 40-60 Euro im Jahr Ersparnis bei der Krankenkasse. Natürlich. Ein mittelmäßiges Fitness-Studio kostet 20 Euro in der Mitgliedschaft pro Monat. Ein Läufer braucht sicher zwei, eher drei Paar Laufschuhe im Jahr, macht um die 600 Euro. Die Laufklamotten, die Pulsuhr noch nicht eingerechnet. Was also sollen diese Maßnahmen? Was bringen solche Bonus-Programme? Augenscheinlich geht es hier viel zu oft um Marketing, als um eine gesündere Gesellschaft, die uns allen nützen würde. 

Wann werden aus den Krankenkassen Gesundheitskassen?

Wann machen Krankenkassen eigentlich wirklich ernst? Wann honorieren sie denjenigen, der sich regelmäßig bewegt? Ohne einfach nur auf die billige Tour an Daten zu kommen!? Und warum schützt man im Umkehrschluss nicht chronisch Kranke oder alte Menschen vor solchen „Angeboten“? Denn wenig aktive Menschen, müssen bis zu zwei Prozent mehr pro Jahr bei diesem beschriebenen Modell bezahlen. Laut Statistik gibt es in Deutschland seit der Pandemie alleine 22,8 Millionen Läuferinnen und Läufer. Nie wurde auf der einen Seite so viel Sport getrieben wie in den letzten Jahren, auf der anderen Seite wird Deutschland immer dicker. Laut RKI (Robert Koch Institut) sind 53, 5% der Erwachsenen übergewichtig. Die Adipositasprävalenz liegt für Männer und Frauen bei 19%. Alleine unter den Läufern entwickelt sich seit einiger Zeit immer mehr der Gesundheitsaspekt des Laufens. Es geht nicht mehr so sehr um Zeiten. Es geht mehr und mehr um den Körper. Wer läuft, läuft oft nicht nur. Der moderne Läufer tut etwas zur Stabilisation des Körpers, betreibt ausgleichende Sportarten, ernährt sich bewusst. Immer weniger Läufer rauchen, vielen hat der Sport geholfen, um aus dem Teufelskreis des blauen Dunstes zu entfliehen. Das Laufen hilft Menschen mit Depressionen und anderen schweren Krankheitsbildern. Um es klar zu sagen: Nein, Läufer sind nicht die besseren Menschen, sie haben nur etwas für sich begriffen: Sie tun etwas für sich, für ihre Gesundheit, und somit auch sehr direkt etwas für unsere Gesellschaft, völlig unabhängig von Bonus-Programmen mit Lockfunktion. 

Ein Läufer joggt einen Weg entlang.
© Unsplash.com / Jenny Hill

Auf ein Wort

Liebe Krankenversicherer, eigentlich ist es gar nicht so schwer! Fangt bei Euch selbst an. Benennt Euch erstmal um. Von Krankenkasse in Gesundheitskasse. Dann: Wir sind sowieso alle gläsern. Wir teilen sowieso alle unsere Laufdaten freiwillig. Jede Pulsuhr, jede App zählt mit. In den sozialen Netzwerken, auf Plattformen der Hersteller von Wearables und Gadgets, überall werden Daten freiwillig publik. Bezahlt doch einfach jedem der will sein Lieblingsgadget. Oder baut eine eigene App, in der die Daten sicher sind. Cafe-Katte-Gutscheine tauscht Ihr gegen einen freien Besuch beim Physiotherapeuten. Kinogutscheine gegen ein Sixpack stilles Wasser. Und wer es zum Premium Kunden schafft, der spart bis zu 50% des Jahresbeitrags. Und damit die Alten und chronisch Kranken gut versorgt werden, begnügen wir Premium Member uns mit 40% und geben 10% ab. Das klingt populistisch? Mag sein, aber wenn Bewegung einen Wert hat, dann kann man durchaus etwas zurückgeben. Wenn unsere Gesellschaft so gesünder wird, sowieso. Und zudem erwirtschaften Krankenkassen jedes Jahr Überschüsse in Milliarden-Höhe. So könnte man auf die verrückte Idee kommen, die Überschüsse in die Gesundheit zu investieren, nicht in die Aktionäre. 

Porträt des IMTEST-Lauf-Experten Mike Kleiß

Mike Kleiß ist leidenschaftlicher Läufer, besonders Ultra-Marathons haben es ihm angetan. Er ist Experte für Fitness, Gesundheit, Ernährung und Mental Health. Täglich ist er mit seinen Hunden in der Natur, er ist Gründer und CEO der Kommunikationsagentur GOODWILLRUN, und erfolgreicher Podcaster. Zusammen mit IMTEST-Chefredakteur Axel Telzerow ist er Host des beliebten Podcasts „Echte Vaddis“, bei IMTEST.de schreibt er jede Woche seine Kolumne „Gesünder Leben – endlich richtig fit!“